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Ich war fremd – fast immer und überall

Pünktlich zu meiner Einschulung zogen meine Eltern um. Zwar kam ich gerade noch rechtzeitig zum gemeinsamen Klassenfoto, hatte aber alles andere verpasst. Es ging gleich in die Klasse, ganz ohne Programm und Trara.

Ich war fremd. Ich kannte keinen einzigen Mitschüler, schließlich hatte ich nicht mit ihnen den Kindergarten besucht, sondern mit anderen Kindern, die jetzt in einem anderen Ort in eine andere Schule gingen. Dazu kam: Ich konnte bereits lesen. Ich war darauf stolz wie Bolle und verstand nicht, warum mich die anderen seltsam anguckten, wenn ich im Lesebuch weiterblätterte.

Vier Jahre später zogen meine Eltern für vier Jahre ins Ausland, um dort zu arbeiten. Weil sie erst zu Beginn meiner Herbstferien ausreisten, kam ich erst sechs Wochen später als meine Mitschüler ins Internat. Wieder war ich fremd: Die anderen hatten sechs Wochen Vorsprung und hatten sich längst zu Cliquen und Grüppchen zusammengefunden. In diesen vier Jahren war ich froh über jede Minute, die ich mich mit einem Buch zusammen irgendwohin verkrümeln konnte, um zwischen zwei Buchdeckeln zu wohnen.

In der Oberstufe hatte ich einen verständnisvollen Klassenlehrer, der versuchte, zwischen den Mitschülern und mir zu vermitteln: Er verglich die anderen mit den Fans, die begeistert im Stadion ihrem Verein zujubeln und nannte mich einen Bücherwurm, der ich ja zugegebenermaßen auch war.

Im ersten Studium war ich zu beschäftigt, um mich fremd zu fühlen. Außerdem traf ich zum ersten Mal auf Menschen, mit denen ich Nächte durchquatschen konnte, und die Welt hätte retten können.

Dann kam die Wende. Wir wurden aus Gründen zerstreut – und fanden uns nicht wieder. Ich zog in den Westen – um dort ein neues Studium zu beginnen. Damit ich mich, mein Leben und mein Kind finanzieren konnte, arbeitete ich nebenher. Und war so fremd, wie nie zuvor:

Auf Wohnungssuche erklärte mir eine Vermieterin, dass sie mir die Wohnung nicht geben würde, weil sie schon einmal einen Mieter aus dem Osten gehabt habe, der sein Heizöl einzeln im Kanister an der Tankstelle geholt habe.

An der Arbeit erzählte man mir immer wieder, wie faul doch die Leute aus dem Osten seien – bis auf mich natürlich. Ich sei ja echt eine Ausnahme.

Irgendwann, bei einem Wechsel der Arbeitsstelle, habe ich nicht mehr erzählt, wo ich herkomme. Ich habe einfach nur noch meinen Wohnort genannt. Das musste reichen. Übrigens: Das Kind, das jetzt schon groß ist, hat es ähnlich gemacht. Als sie von der Grundschule – in der sie wegen ihrer Herkunft gehänselt wurde – auf das Gymnasium kam, nannte sie als Herkunft nur noch ihren Wohnort. Fertig. Da uns kein Akzent verriet, ging das gut. Besser als vorher. Ich war nicht die einzige: Eine Kollegin, die für mich mit deutlich vernehmbarem Zungenschlag sprach, fragte ich, wo sie herkam. Ich hoffte, sie würde sich outen und wir wären dann schon zu zweit. Aber sie nannte einen anderen Ort, einen unverfänglicheren, einen, der im Westen lag.

So hielt ich es lange Zeit. Die Vorurteile gegenüber „Denen von drüben“ waren für mich immer gut vernehmbar, wenn Menschen, die nicht wussten, woher ich wirklich kam, über andere Menschen von dort sprachen.

Inzwischen erzähle ich wieder, wo ich herkomme. Auch wenn ich immer noch fremd bin, hier in Oberfranken. Vor gut zwei Jahren zog ich hierher, doch es fühlt sich immer noch wie Urlaub an, nicht wie ein Zuhause, oder eine Heimat. Aber es gefällt mir hier sehr gut. Und es gibt immer mehr Momente, in denen ich mich nicht fremd fühle.

Vor einigen Monaten habe ich darüber nachgedacht, was für mich eigentlich Heimat ist:

(Klick)Meine Heimat. 

Ich war fremd: Der LandLebenBlog rief auf, sich dazu Gedanken zu machen. Vielen Dank dafür.


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